Geschichte der Schüler*innenvertretung

Schule ist Lebensraum!

Das Grundgesetz sagt: Erst wer volljährig ist, hat das Recht, über seine Belange und die anderer mitzuentscheiden. Aber Demokratie kennt keine Altersgrenzen, sie ist ein Prinzip, eine Staatsform, die lebendig sein muss. Mitbestimmung - als Grundidee der Demokratie - muss für alle ständig zu erfahren und zu praktizieren sein.

Ein demokratischer Staat braucht eine Schule der Demokratie, eine Schule, in der die Schülerinnen und Schüler über das mitbestimmen können, was sie betrifft, nicht nur im Rahmen der "Schul- & Bildungspolitik".

Gerade Bildungspolitik muss auf gesellschaftliche Verhältnisse und Anforderungen, die sich ständig wandeln, reagieren können. Bildungspolitik muss veränderbar sein. Die notwendigen Entscheidungen hierzu dürfen jedoch nicht irgendwelchen Schulbürokraten überlassen bleiben, sondern sie erfordern die mehrheitliche Zustimmung aller Beteiligten. Erst wenn alle an der Schule Beteiligten - und wir SchülerInnen stellen hier die Mehrheit - sie betreffende Fragen mitentscheiden dürfen, erst dann wird Schule demokratisch sein und ihrem Anspruch gerecht werden, kritische, tolerante und engagierte Menschen (Zitat Schulgesetz) zu erziehen.

SchülerInnen dürfen nicht länger als ein Objekt der Erziehung gesehen werden, sondern als eigenständig handelnde und denkende Individuen, die reif genug sind, ihren Lebensbereich zu gestalten.

Woher kommt SchülerInnenvertretung?

Die Idee, Schüler an der Gestaltung der Schule zu beteiligen, kam bereits um die Jahrhundertwende auf. Hintergründe waren die Anforderungen einer anwachsenden Sehnsucht nach Demokratie und der Kampf gegen die Missstände der ver(w)alteten Schulform.

Der "Disziplinlosigkeit und den Täuschungen", dem "Verfall der Sittlichkeit bei Jugendlichen", der "hoffnungslosen Gesamtlage" der Bildungpolitik, den "Lehrgefängnissen", die die Schüler "geistig terrorisierten", sollte durch Schülermitbeteiligung entgegengewirkt werden.

Der Weg zum angestrebten Ziel war aber eher pädagogisch als demokratisch, eine "harmonische Schulgemeinschaft" - die Schulgemeinde - in der Schüler und Lehrer ohne Konflikte miteinander arbeiten sollten.

Der (Selbst)betrug: durch die Einbeziehung der Schüler in die Gestaltung ihrer Schule sollten sie sich selbst zu demokratischem Verhalten erziehen. SV also als "Gemeinschaftskunde", S(M)V als Vorbild für die "große Demokratie", Wahlen und Mitbestimmung im Erwachsenenleben!

Der zweideutige Charakter zeigt sich in der Pflicht der S(M)V, an Disziplinierungsmaßnahmen gegen unwillige Schüler, zum Erhalt der "geistigen und sittlichen Zucht der Schülergemeinschaft" mitzuwirken.

Dieses Konzept wurde - unterbrochen durch den Nationalsozialismus - bis in die heutige Zeit verfolgt.

Nach dem 2. Weltkrieg versuchten die Alliierten die SMV wieder zu aktivieren: Durch sie sollte der "Reedukationsgedanke" - die erneute "Erziehung zur Demokratie" - an die SchülerInnen herangetragen werden, SchülerInnen sollten einmal mehr durch S(M)V den Umgang mit demokratischen Spielregeln erlernen.

Ihr Tätigkeitsbereich wurde streng durch Verordnungen festgelegt. Er beschränkte sich auf Bereiche wie "Blumen gießen", "Schulfeste organisieren", "Sorge für Naturschutz" u.ä.

Die SMV sollte dazu beitragen, die Erziehungsformen zu ändern. Man wollte, nach den negativen Erfahrungen im Nationalsozialismus, weg von der irrationalen Autorität und strebte die freiwillige Unterordnung der SchülerInnen durch wahre Autorität, Erziehung zu Pflichtbewusstsein und zu einsichtsvoller williger Mitarbeit an - wieder ging es also nicht um eine richtige Mitbestimmung.

Die SMV wurde unter dem Deckmantel der Demokratisierung der Schule in den Schulgesetzen verankert, faktisch war SMV nicht mehr als ein Instrument, mit dem der Gedanke "Gehorsam durch Einsicht" möglichst pädagogisch umgesetzt wurde.

Auf gar keinen Fall aber durfte SMV - wen wundert's - die Funktion einer Interessenvertretung übernehmen, da somit die geringe Chance bestanden hätte, dass sich Schüler gegen ihre Lehrer aufgelehnt hätten. Schule sollte ein zweites Heim werden, ihre Aufgabe sei es "Schüler innerlich an sie zu binden... Schüler sollen stolz sein auf 'ihre' Schule". Auseinandersetzungen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen passten nicht in das Bild der propagierten harmonischen und konfliktfreien Schulgemeinschaft.

Doch Mitte der 60er schwand der Mythos der harmonischen Schulgemeinschaft, es kamen stärker Forderungen nach einer unabhängigen Interessensvertretung der SchülerInnen auf. Die Schülerschaft distanzierte sich immer mehr von der rechtlosen SMV, die zusammen mit der Schülerzeitung die "demokratischen Feigenblätter" einer undemokratischen Gesellschaft waren. Sie sind bis heute Instrumente zur Verschleierung der autoritären Strukturen der Schule geblieben (so die Delegierten auf dem ersten Treffen unabhängiger fortschrittlicher Schüler).

Schüler wollten die Schule nicht länger als einen konfliktfreien Raum sehen, sondern als "Spiegel der Gesellschaft". Daher richtete sich die Kritik der Schüler nicht nur gegen die undemokratische Schule, sondern gegen das gesamte Gesellschaftssystem.

Im Rahmen der Schüler- und Studentenbewegung kritisierten viele progressive SchülerInnen die autoritäre Struktur der Schule in einer nur formaldemokratischen Gesellschaft und die rechtlose, unterdrückte Stellung, die die SchülerInnen in dieser Gesellschaft einnehmen.

Viele SMVen lösten sich tatsächlich auf, um aufzuzeigen, dass sich durch ihre Abschaffung an der Schulwirklichkeit nichts verändert. Sie wollten nicht mehr mitmachen. Stattdessen organisierten sie sich in politischen Schülergruppen, die eine bessere Alternative zur SMV darstellten.

Immer mehr Menschen - auch PädagogInnen - begannen daran zu zweifeln, dass ein nur scheinbar demokratisches Gremium, dessen Arbeit vollständig von einem nicht demokratisch gewählten Schulleiter bestimmt wird, in der Lage sein könne, ein demokratisches Bewusstsein zu schaffen.

Auch die Idee der "harmonischen Schulgemeinde", deren Teil SMV sein sollte, verlor an Boden. Sie wurde entlarvt als Konfliktverschleierung, die die "wahren Machtverhältnisse in der Schule künstlich verborgen hält".

Die Kultusminister sahen sich gezwungen, dem öffentlichen Druck nachzugeben und erkannten, dass eine in der Schule geschaffene Schülerorganisation kontrollierbarer und berechenbarer war, als SchülerInnen, die sich außerhalb der Schule organisierten. Die Rechte der SMV wurden scheinbar erweitert, für die Kultusministerien ging es aber darum, den Schülergruppen das Wasser abzugraben, indem sie die SMV wieder akzeptabel machten.

Die Rechnung ging auf - die Schülerprotestbewegung löste sich auf. Das pädagogische Verständnis von SMV allerdings änderte sich bis heute nicht. So sehen SV-Ordnungen noch heute vor, dass die SV zur Aufgabe hat, "die Schüler zur Mitverantwortung zu befähigen" - also zu erziehen. Natürlich wird auch das Recht der SV auf Interessensvertretung eingeschränkt - durch Klauseln, wie "Die SV vertritt im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule die Interessen..."

Auch heute noch ist die SV nicht mehr als ein Übungsfeld formaldemokratischen Verhaltens. Sie ist eine Sandkastendemokratie, mit der versucht wird, die zuvor einfach verlangte blinde Autoritätsgläubigkeit durch eine Anerkennung der Autorität und Ordnung seitens der Schüler zu ersetzen.

Auch die LandesschülerInnenvertretung ist ein Kind des Kampfes fortschrittlicher SchülerInnen gegen die Kultusbürokratie. Unsere Strukturen haben wir selbst aufgebaut und gegen den Willen des Kultusministeriums durchgesetzt.

Die LSV sieht sich als Vertretungsorganisation aller SchülerInnen. So setzt sie sich aktiv für eine Verbesserung der Position der SchülerInnen in der Schule ein. In dieser Frage sind wir radikale VertreterInnen einer vollständigen Demokratisierung unserer immer noch undemokratischen Schulen. Die Schule der Zukunft - die Schule der Demokratie - muss alle an Schule Beteiligten gleichberechtigt in die Entscheidungsfindung und Schulgestaltung einbeziehen. Konkret heißt das: SchülerInnen, LehrerInnen und Angestellte, in einem geringeren Maße auch Eltern, wählen gemeinsam einen Schulvorstand, sowie neue LehrerInnen aus. Natürlich beschließen sie auch ein Schulprogramm, das Lerninhalte und Lernverfahren einschließt.

Die Kultusbürokratie muss endlich erkennen, dass die Schule für die SchülerInnen da sein muss und nicht umgekehrt!