Stellungnahme zur Debatte um "Jugendgewalt"

An die Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verbänden und dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur

„Jugendgewalt“ im Fokus von Wahlkampf und Medien
- Stellungnahme des Landesvorstands der LSV Rheinland-Pfalz -

Sehr geehrte Damen und Herren,

durch die bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen ist ein Thema von der Politik wieder in den Vordergrund gerückt worden, von dem auch wir als Vertretung der Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz besonders betroffen sind: „Jugendgewalt“ wird momentan in allen Medien diskutiert. Die Art, wie dies geschieht, lässt ein sehr verzerrtes Bild von Jugendlichen im Allgemeinen und insbesondere solchen mit „Migrationshintergrund“ entstehen. Unserer Meinung nach sollten all diese Diskussionen mit konkreten Forderungen gefüllt werden, die weitergehen als eine Herabsetzung der Strafmündigkeit oder härteren Strafvollzug – beziehungsweise viel weiter vorne anfangen. Nämlich bei den Jugendlichen selbst, die, angesichts dessen, dass es um sie geht, viel zu wenig gefragt und gehört werden.

Als LandesschülerInnenvertretung sind wir der Ansicht, dass dieses Thema momentan von der Politik und den Medien auf die falsche Weise aufgegriffen wird, wobei diese die Jugendlichen und ihre tatsächlichen Probleme deutlich zu oft außer Acht lassen. Unserer Meinung nach werden in den Diskussionen verschiedene bedeutende Aspekte weitestgehend ignoriert, deren Wichtigkeit wir an dieser Stelle noch einmal besonders betonen wollen.

Die Tatsache, dass sich Jugendliche anscheinend vermehrt gewalttätig verhalten, hat mit Sicherheit viele verschiedene Ursachen. Oft sind jedoch diejenigen, die Gewalt ausüben, nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Denn auch die Zahl der Jugendlichen, die durch ihre Eltern Gewalt erfahren, ist in den letzten Jahren weiter gestiegen. Wir halten es für ungerechtfertigt, von jungen Menschen zu verlangen, dass sie in der Lage sind Konflikte gewaltfrei zu lösen, wenn sie nie die Chance hatten, dies in ihrem Elternhaus oder ihrem engeren Umfeld zu lernen.

Einen weiteren Grund für die verstärkte Gewaltbereitschaft der Jugendlichen sehen wir in der großen Verunsicherung und Zukunftsangst, der sich manche von ihnen in unserer Gesellschaft ausgesetzt fühlen. In diesem Zusammenhang wird oft von dem hohen Anteil straffällig gewordener SchülerInnen mit Mitgationshintergrund gesprochen. Viel auffälliger sollte es allerdings sein, wie viele Jugendliche, die straffällig werden, keinen Schulabschluss und keine Ausbildungsstelle haben. Da wir wissen, dass dies gerade bei ausländischen Jugendlichen öfter der Fall ist, muss man die Zusammenhänge in einem neuen Kontext sehen.

Wir glauben, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund nur deshalb in der Statistik als häufiger straffällig erscheinen, weil sie einen großen Teil der Jugendlichen ohne Schulabschluss ausmachen. Für Jugendliche ohne Zukunftsperspektive ist der Weg in die Gewalt oft vorbestimmt; unser Schulsystem sorgt dafür, dass schon während der Schulzeit bei ihnen ein großer Sozialneid entsteht und ihnen das Gefühl der Chancenlosigkeit vermittelt wird. Die Ergebnisse der jüngsten IGLU- und PISA-Studien bestätigen dies. Man kann durchaus Verständnis dafür aufbringen, dass es schwer fällt, die Gesetze einer Gesellschaft zu respektieren, von der man sich abgeschoben und zurückgewiesen fühlt.

Letztlich ist so die ungerechte Struktur unseres Schulsystems für die Situation und auch die Gewaltbereitschaft jener Jugendlichen als mitverantwortlich anzusehen. Unserer Meinung nach ist dies durchaus ein Grund, noch einmal über die jetzigen Zustände nachzudenken und diese in Frage zu stellen.

Momentan wird auch in den Medien über die wichtige Funktion der Schule vor allem im Zusammenhang mit Prävention viel berichtet. Dies halten wir für richtig, denn die Schule ist schließlich der einzige Ort, wo Schüler und Schülerinnen zu erreichen sind – auch bevor sie tatsächlich strafmündig sind.

In verschiedenen Medien wurden in den letzten Wochen Präventionsprojekte an unterschiedlichen Schulen vorgestellt und Möglichkeiten aufgezeigt, Jugendlichen Konfliktbewältigung näher zu bringen. Dabei handelt es sich in der Regel um Projekte, die seit langem mit Erfolg an diesen Schulen durchgeführt werden – und gerade das sollte Anlass zur Verwunderung sein. Da es sich bei der so genannten „Jugendgewalt“ anscheinend um ein wichtiges Thema handelt und Politiker nach Möglichkeiten suchen, diese zu reduzieren und zu „bekämpfen“, sollte es doch inzwischen selbstverständlich sein, dass Präventionsprojekte an Schulen durchgeführt werden. Dem ist jedoch nicht so, denn stets wird über Schulen mit solchen Methoden berichtet, als handle es dich dabei um lobenswerte Pilotprojekte, Einzelfälle und Vorbilder.

Die Landesregierung sollte sich angesichts der Situation unserer Ansicht nach verpflichtet fühlen, Präventionsprojekte an allen Schulen zu einem Standard zu machen. Es gibt genug Beispiele gelungener Gewaltbekämpfung und genug Möglichkeiten, diese in den Schulalltag einzubinden. Es ist bedauernswert, dass diese trotzdem oft weiterhin nur durch das Engagement einzelner Lehrer und Lehrerinnen oder Vertretungen der Schülerinnen und Schüler ins Leben gerufen werden können. Solch ein Einsatz ist natürlich durchaus lobenswert, kann allerdings nicht an jeder Schule stattfinden und es bleibt fraglich, ob tatsächlich die Schulen, an denen es besonders nötig ist, erreicht werden.

Wir finden es ungerechtfertigt, die „Jugend von heute“ als eine gewaltbereite und intolerante zu bezeichnen, wenn nicht die nötigen Bemühungen da sind, allen Schülerinnen und Schülern die Chance zu geben, Konfliktbewältigung zu lernen. Wir wünschen uns deswegen einen verstärkten Einsatz von vorbildlichen Projekten zur Gewaltprävention an allen Schulen in Rheinland-Pfalz, denn nur so kann die Politik zeigen, dass es beim Thema „Jugendgewalt“ tatsächlich um die betroffenen Jugendlichen geht. Mit der Institutionalisierung Gewalt vorbeugender Projekte an Schulen wäre zudem ein weiterer Schritt in Richtung Chancengleichheit getan.

Mainz, den 22. Januar 2008

Der Landesvorstand der LandesschülerInnenvertretung Rheinland-Pfalz