Forderung: Sitzenbleiben abschaffen

Landesschülervertretung fordert ein Umdenken beim Schulsystem: Schüler lieber früher fördern, statt später durchfallen lassen

VON ANNE KIRCHBERG

In keinem anderen Land bleiben so viele Schüler sitzen wie in Deutschland: 23,1 Prozent der 15-Jährigen haben laut PISA-Studie von 2003 während ihrer Schulzeit mindestens einmal eine Klasse wiederholt. Dass Sitzenbleiben gar nicht viel bewirkt, sondern vor allem teuer ist, bewies im September 2009 eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Dieser Meinung ist auch die Landesschülervertretung (LSV) Rheinland-Pfalz, die deshalb die Abschaffung des Sitzenbleibens fordert.

„Sitzenbleiben ist völlig sinnlos", meint Hanna Zoe Trauer, Innenreferentin der Landesvertretung der Schüler in Rheinland-Pfalz. „Faktisch wiederholen die Schüler dabei den Stoff eines ganzen Jahres – auch den, den sie verstanden haben. Das kostet unnötiges Geld. Und Dinge, die sie nicht verstanden haben, begreifen sie nicht unbedingt besser, nur weil sie diese noch einmal lernen." Genau das belegen die Ergebnisse der Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung: Danach kostet das Sitzenbleiben die deutschen Bundesländer pro Jahr 931 Millionen Euro und bewirkt relativ wenig. Alleine in Rheinland-Pfalz belaufen sich die Kosten demnach auf mehr als 50 Millionen Euro im Jahr. Obwohl die Schüler eine Klasse wiederholen, erzielen sie häufig im nächsten Jahr nicht bessere Erfolge und müssen die Schule wechseln.

Schüler könnten sich in einer „Wohlfühl-Schule" den Stoff selbst einteilen.

Daneben bringt die „Ehrenrunde" laut der 18-jährigen Gymnasiastin Hanna Zoe Trauer weitere Schwierigkeiten mit sich. „Sitzenbleiber geraten in eine Art Teufelskreis. Die Schule zeigt ihnen durch die Nicht-Versetzung, dass sich niemand um sie kümmert: Wer nicht gut genug ist, muss eben wiederholen. In einer neuen Klasse müssen sie sich erst an das Umfeld gewöhnen, und durch den Rückschlag verlieren viele die Motivation. Gleichzeitig langweilen sich Sitzenbleiber in ihren bisher guten Fächern und arbeiten dort dann nicht mehr mit."

Der LSV zufolge sehen die wenigsten von diesen Schülern das Sitzenbleiben als eine Chance an, sondern empfinden es als Bestrafung. „Wer wiederholen muss, gilt als Versager. Wenn eine Schule nicht bestrafen will, sollte sie individuelle Förderungen anbieten", erklärt die Schülerin aus Mainz-Gonsenheim. „Hierfür sollte das bisher für Sitzenbleiber ausgegebene Geld verwendet werden. Denn entweder haben Schüler nur in einigen Fächern Probleme oder grundsätzlich mit dem Lernen und benötigen Hilfe, um sich besser zu organisieren. Eine entsprechende Förderung würde den Betroffenen für ihre ganze Schullaufbahn helfen und nicht nur ein Jahr lang einen Vorteil verschaffen."

Hanna Zoe Trauer betont, dass dieses Modell für alle Schularten gelten sollte. Für jeden, der freiwillig wiederholen möchte, muss dies nach Meinung der LSV jedoch weiterhin möglich sein. Dass bequeme Schüler ein System ohne Sitzenbleiben ausnutzen würden, glaubt Hanna Zoe Trauer nicht. „Gerade das Sitzenbleiben ist eine Lücke im System. Die Schüler wissen, dass sie wiederholen können und müssen, wenn sie es nicht schaffen. Ohne das Sitzenbleiben wissen sie, dass ihnen geholfen wird, wenn sie Förderung brauchen, aber mangleichzeitig von ihnen fordert, am Ball zu bleiben."

In einer für die LSV idealen „Wohlfühl-Schule" würde Nachhilfe nicht nach dem gängigen Modell angeboten werden. „Dort gäbe es die Möglichkeit, den zu lernenden Stoff nach eigenen Fähigkeiten selbst einzuteilen und zu lernen, sich von anderen helfen zu lassen sowie gemeinsam Fortschritte zu machen. Den Zwang, in einem Jahr etwas Bestimmtes zu lernen, halten wir nicht für nötig. Auch die Unterteilung in Klassen sehen wir als nicht sinnvoll an." Laut Hanna Zoe Trauer funktioniert dieses Konzept in diversen demokratischen Schulen wie beispielsweise der Laborschule Bielefeld bereits problemlos.

„Wir wissen, dass unsere Vorstellungen von einer neuen Schule nicht in wenigen Jahren umgesetzt werden", sagt Hanna Zoe Trauer abschließend. „Vorerst wünschen wir uns deswegen, dass die größeren Übel des aktuellen Schulsystems überwunden werden.

INFO
www.lsvrlp.de