Rheinpfalz-Interview zur Aktion "Schule und Demokratie"

mit LSV-Pressereferent Julio Pires

Im Oktober machte die Landesschülervertretung (LSV) in Mainz, Koblenz und Neustadt mit Sprühkreide auf ein besonderes Anliegen aufmerksam. „Mit Betreten des Schulgeländes verlassen Sie den demokratischen Sektor der Bundesrepublik Deutschland" war an der Parkplatzmauer des Neustadter Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums (KRG) zu lesen. Harte Worte, zu denen sich Julio Pires, KRG-Schüler und als Pressereferent Mitglied im Vorstand der LSV, im Gespräch mit xxpress-Mitarbeiterin Heike Klein äußerte.

Julio, bist Du wirklich so unzufrieden mit Deiner Schule?

Nein, denn am KRG sind viele unserer Forderungen bereits umgesetzt. Wir können unsere Ideen und Meinungen in den Konferenzen und regelmäßigen Gesprächen mit der Schulleitung darlegen. Außerdem sind wir in Arbeitskreisen mit Lehrern und Eltern vertreten. Die Schulleitung respektiert uns und bietet uns immer wieder an, bei Problemen auf sie zu zukommen. Bei der Aktion ist leider schief gelaufen, dass der Satz an die Mauer gesprüht wurde, also direkt auf Schuleigentum. Eigentlich hätte das auf öffentlichem Boden davor aufgetragen werden sollen. Aber der Schriftzug ist aus Kreide und lässt sich gut entfernen.

Die Aktion lief ja auch in anderen Städten und in Neustadt an weiteren Schulen. Es ist ein Projekt, das landesweit Aufmerksam machen soll, weil wir häufig von anderen Schulen Beschwerden bekommen, dass die Demokratie nicht richtig umgesetzt wird. Wir wollten vorallem ein möglichst großes Publikum erreichen.

Welche Beispiele hat die LSV für ihre Position?

Es gibt Schulen, da wird die Schülervertretung (SV) nicht direkt aus der Schülerschaft gewählt. Oder die SV wird gehindert, an übergeordneten Sitzungen wie denen der Stadtschülervertretung teilzunehmen. Außerdem haben wir zwar ein Rederecht in den Konferenzen, aber kein Stimmrecht. Hier wäre eine Gleichberechtigung sehr wichtig. Dazu kommt, dass die Teilnahme an Sitzungen und Konferenzen uns oft auf freiwilliger Basis ermöglicht wird, wir wollen dies gesetzlich verankert haben, damit wir ein echtes Recht darauf haben.

In einer idealen Schule gibt es Klassenräte, in denen wöchentlich einmal die Probleme besprochen werden können. Auch sonst müsste sich noch Grundlegendes verändern.

Das klingt, als wolltet Ihr Klassenarbeiten und Noten abschaffen?

Zur Demokratisierung gehört auch eine andere, neue Form des Unterrichts. Weg von den alten, starren Lehrplänen, weg vom Frontalunterricht und hin zum stärkeren Beachten der einzelnen Fähigkeiten der Schüler. In Berlin gibt es eine Pilotschule, da entscheiden die Kinder, was sie an dem jeweiligen Unterrichtstag lernen wollen. Die Universitäten und Arbeitgeber beschweren sich doch so oft, dass die Schulabgänger nicht die Anforderungen erfüllen, die sie für Studium und Ausbildung benötigten. Das liegt auch daran, dass wir während unsere Schulzeit mit Lernmethoden arbeiten, die zur Unselbständigkeit erziehen und oft einfach sinnloses Auswendiglernen beinhalten.

Das bedeutet gravierende und auch teuere Veränderungen. Wie kann das umgesetzt werden?

Das ist die falsche Frage. Richtig müsste es heißen: warum ist das noch nicht umgesetzt worden? Die Bildung ist das höchste Gut, daran darf nicht gespart werden. Es gibt schon lange wissenschaftliche Erkenntnisse, dass unser Bildungssystem in dieser Form nicht sinnvoll ist. Eine Reform, mehr Lehrerstunden, bessere Ausbildung von ihnen und bessere Ausstattung der Schulen kosten natürlich Geld. Aber diese Ausgaben würden sich bezahlt machen. Es würde motivierte Schüler geben, weniger Wiederholer, eine Verringerung der seelischen Probleme, die letztlich sehr krank machen. Wir wären wirklich vorbereitet für das Arbeitsleben. Im Moment lernen wir nur für die Noten, aber nicht für das Leben.

Wo sollen die Schulstunden herkommen, um dies umzusetzen? Seid Ihr bereit für einen erweiterten Stundenplan?

Blickt man auf den strukturellen Stundenausfall, also auf die fehlenden Stunden, die wegen Lehrermangels gar nicht erst in unseren Stundenplan aufgenommen werden, gibt es noch viel Platz. Diese Situation mit dem großen Unterrichtsausfall ist unbefriedigend. Mit mehr Lehrern hätte man die Kapazität für solche Projekte wie einen Klassenrat. Es wäre uns sehr recht, wenn wir wirklich die Sollstunden erhielten, wie sie eigentlich vorgesehen wären.


Zur Sache:

Der Neustadter Julio Pires ist seit einem Jahr Mitglied der Landesschülervertretung (LSV). Der 19-Jährige besucht die 13. Jahrgangsstufe des Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums. Als Pressereferent der LSV lernte er Joachim Gauck beim Antrittsbesuch des Bundespräsidenten in Remagen persönlich kennen. „Es war kein langes Gespräch, aber wir stellten schon dort unser Anliegen vor, mehr Mitspracherecht in den Schulen zu bekommen. Gauck erwiderte, dass er vor seinem jetzigen Amt oft Vorträge an Schulen hielt und jetzt vor allem Projekte wie „Jugend debattiert" unterstütze und der ehrenamtlichen Arbeit einen sehr hohen Stellenwert einräume."

Als Mitglied der Neustadter Stadtschülervertretung arbeitet Julio Pires ebenfalls an der Stärkung der Schülerrechte. „Es gibt uns erst seit zwei Jahren. Im ersten Jahr ging es darum, die Kontakte zum Oberbürgermeister und den weiteren Politikern aufzubauen. Dann lief die Rosenaktion und das Konzert „Sound of Schools". Wir planen auch eine Schul übergreifende Sportveranstaltung", so Pires. (kle9)