"Man sollte sich fragen, wie später Demokratie gelebt werden soll"

Beitrag im Deutschlandfunk von der 68. LSK in der Gedenkstätte KZ Osthofen

Rheinland-Pfalz

Was Schüler vom kommenden Schuljahr erwarten


Massiver Unterrichtsausfall, starke Fluktuation von Lehrkräften - das sind die Probleme, die zum Schuljahresende auf einer Tagung in Mainz unter dem Motto "Schule an der Leistungsgrenze" diskutiert wurden. Die anwesenden Schülervertreter kritisierten auch, dass nachhaltiges Lernen nicht möglich sei, sondern durch Leistungsdruck und Ziffernoten verhindert werde.

Von Anke Petermann

"Ok, kommt mal mit!" Alexander Klinge vom Gedenkstätten-Team lotst die Schüler über den früheren Appellplatz. Er ist nicht viel älter als seine Zuhörer.

"Ich hab‘ letztes Jahr mein Abitur gemacht und mache jetzt mein Freiwilliges Soziales Jahr in der Gedenkstätte." Mit Fragen und Fotos lässt Klinge die Schüler eintauchen in die Geschichte dieses eher unbekannten Konzentrationslagers bei Worms.

"Osthofen wird auch ein wildes Lager genannt, und zwar war es eines der ersten Lager, das 1933 eröffnet wurde. Im März '33 wurden die ersten Leute hier eingeliefert."

Klinge greift Fragen und Anmerkungen der Schüler auf, es entspinnt sich ein Gespräch über die Rolle Osthofens im repressiven System der Nazis. Lebendige Erinnerungskultur, Anstöße zum politischen Denken im Dialog – genau das kommt rheinland-pfälzischen Schülervertretern im Unterricht zu kurz. Auch in Geschichte und Sozialkunde, Fächern, die dafür prädestiniert wären. "Bulimie-Lernen" herrscht vor, kritisiert Lisanne Hermann, Delegierte aus Mayen-Koblenz.


"Man sollte sich fragen, wie später Demokratie gelebt werden soll"


"Man frisst den Lernstoff in sich rein, kotzt ihn wieder aus, und danach hat man alles vergessen – unser Lernen ist nicht nachhaltig. Wir haben ja jetzt gerade die Führung gemacht, und ich hab‘ vor zwei Monaten dieses Thema behandelt, ich wusste gar nichts mehr. Ich hab‘ das für diesen Test gelernt und konnte das Wissen nicht mehr abrufen, und ich finde, das ist nicht der Sinn von Schule."

Noten und Leistungsdruck verhindern nachhaltiges Lernen, da sind sich die Landeschülervertreter einig, darunter viele Gymnasiasten. Und eine Waldorf-Schülerin, die viele beneiden, weil sie sich ihren Schulalltag genauso wünschen würden.

"Wir haben gar keine Noten, erst ab der elften Klasse", erzählt Hannah Schumacher aus Kaiserslautern,

"Also, weil wir Waldorfschule sind – das ist bis zur neunten Klasse alles ziemlich gechillt, und ab der elften Klasse kommt dann so der Druck, und dann geht das so mit den Noten los. Aber ich kann noch nichts dazu sagen."

Ziffernnoten - ein primitiver Bewertungsmaßstab, findet Alexander Kouril, andere nicken. Der Westerwälder legt nach. "Man sollte sich fragen, wie später Demokratie gelebt werden soll, wenn man in einem solch autoritären System wie der Schule aufwächst und auch irgendwie erzogen wird."


Verlangen nach mehr Teilhabe für Schüler


Nach den Sommerferien plant die Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz, kurz LSV, eine Kampagne pro Demokratisierung, mit Podien und Protest gegen zu geringen Einfluss in den Entscheidungsgremien.

"Die Gesamtkonferenz bestimmt über die Sachen, die die Schülerinnenschaft betreffen. Und da haben wir drei Stimmen – zur Schulleitung der gesamten Lehrerinnenschaft. Das ist zwar ein schönes Zeichen: "Hey ihr habt ne Stimme, ihr könnt was bewegen", aber das ist doch eher Kosmetik-Demokratie, Pseudo-Stimmrecht, irgendwas in der Richtung."

Im September will die Landesschülervertretung das Verlangen nach mehr Teilhabe auch in den Landtag tragen. Mehr Demokratie an den Schulen, dafür ist auch die GEW zu haben, selbst wenn sie so weit reichende Forderungen wie die Wahl von Schulleitungen nicht mitträgt. Die Gewerkschaft berät zurzeit darüber, wie weit sie die Kampagne der LSV unterstützt.


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