46. LSK zum Thema Sexualität und Geschlechterverhältnisse

An die Vertreterinnen und Vertreter der Medien

Mainz, 18. März 2009

46. LandesschülerInnenkonferenz Rheinland-Pfalz –
Sexualität und Geschlechterverhältnisse


Die LandesschülerInnenvertretung Rheinland-Pfalz (LSV) lädt am kommenden Wochenende Schülerinnen und Schüler zur politischen Meinungsbildung in die Integrierte Gesamtschule Rockenhausen ein. Das Thema: „Finde den Unterschied - Sexualität und Geschlechterverhältnisse in der Schule“. Es werden ca. 150 Schülerinnen und Schüler erwartet.

Den Kern der Konferenz bildet die Abstimmung des Leitantrages, in dem sich die LSV deutlich gegen bi-edukativen (geschlechtergetrennten) Unterricht und für einen bewussten Umgang mit Geschlechterrollen im Unterricht ausspricht. Die Delegierten werden sich gemeinsam in Arbeitsgruppen mit dem Thema beschäftigen. Außerdem stehen Nachwahlen in verschiedenen Ämtern an. Neben den Delegierten sind auch Gäste willkommen, Anmeldung auf der Internetseite der LSV (http://www.lsvrlp.de).

Auch der Amoklauf von Winnenden wird die SchülerInnen beschäftigen.
„Ein solches Ereignis kann und darf nicht ignoriert werden. Der Weg zur Schule wird noch lange von einem mulmigen Gefühl begleitet werden. Vielleicht wird es für eine politische Analyse zu früh sein, aber wird werden der Opfer gedenken und über unsere eigenen Ängste sprechen“, so Pressesprecher Matthias Köberlein.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Köberlein
- Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit –

Bei Rückfragen und für weitere Informationen stehe ich Ihnen unter presse[at]lsvrlp.de gerne zur Verfügung.

Info:
Die Landeskonferenz der Schülerinnen und Schüler ist das höchste beschlussfassende Gremium der LandesschülerInnenvertretung Rheinland-Pfalz. Sie beschließt die Positionen der LandesschülerInnenvertretung und wählt den Landesvorstand.

Anlagen:
Programmablauf, Leitantrag

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Programmablauf der 46. Landeskonferenz der Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz vom 20.-22. März 2009 an der Integrierten Gesamtschule Rockenhausen

Freitag | 20.03.2009

bis 17.30h Anreise
18.00h Eröffnungsplenum: Begrüßung | Feststellung der Beschlussfähigkeit |
Beschluss der Tagesordnung | Wahl des Präsidiums | LaVo-Zwischenbericht
Genehmigung des Protokolls der 45. LSK | Was ist eine LSK?
19.30h Abendessen
20.30h Treffen in den Regionalen Arbeitskreisen (RAKen)
danach Film, Kulturprogramm, Mitternachtsdiskussion

Samstag | 21.03.2009

09.00h Frühstück
10.00h Plenum: Behandlung der von der 45. LSK vertagten Anträge | Behandlung
der Anträge an die 46. LSK | Vorstellung der AGen
13.00h Mittagessen
14.00h AGen
16.00h Kaffeepause
16.30h Plenum: Behandlung der restlichen Anträge | Nachwahlen zum Landesvorstand | Nachwahlen zur Bundesebene
19.00h Abendessen
20.00h Podiumsdiskussion zum LSK-Motto
21.30h Abendplenum: ggf. weitere Anträge | Abschluss
danach Kulturprogramm, Party

Sonntag | 22.03.2009

09.00h Frühstück
10.00h Abschlussplenum
12.00h Aktion „Special A“
13.00h Feedbackbögen ausfüllen, Tschüss sagen, Abreise

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Leitantrag zur 46. Landeskonferenz der Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz vom 20.-22. März 2009 an der Integrierten Gesamtschule Rockenhausen

Der folgende Text soll den bestehenden Text im Grundsatzprogramm ersetzen und somit zur Beschlusslage der LSV werden.

2.2 Geschlechterverhältnisse in der Schule

Die LSV lehnt eine Wiedereinführung des nach Geschlechtern getrennten Unterrichts klar ab. Die LSV hält die Koedukation für einen richtigen und wichtigen Schritt zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Die in Rheinland-Pfalz noch bestehende Möglichkeit zur Trennung in Schülerinnen und Schüler im Sportunterricht hält die LSV für falsch. Die Defizite in der Umsetzung müssen durch eine umfassende Auseinandersetzung mit unten genannten Problemfeldern, sowie mit den Vorstellungen zur Geschlechterdifferenz und Geschlechtsidentitäten behoben werden.

Die LSV fordert die institutionelle Festschreibung von regelmäßigen LehrerInnenkonferenzen, die das Thema Geschlechterverhältnisse in der Schule behandeln, sowie die obligatorische Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen in der LehrerInnenaus- und -fortbildung.


Unbedingt für Koedukation

Die flächendeckende Einführung der Koedukation in den sechziger Jahren war der entscheidende Schritt hin zu gleichem Bildungsangebot und damit Chancengleichheit von Jungen und Mädchen.
Die Bedeutung dieser Errungenschaft darf nicht unterschätzt werden: Vorher war es möglich und üblich, den Mädchen/Jungen durch andere und reduzierte schulische Angebote eine gesellschaftliche Rolle zwingend zuzuweisen. Auch wenn die Angebote identisch wären, könnte bei unterschiedlicher Sozialisierung von Mädchen und Jungen eine unterschiedliche Diskussionsstruktur aufkommen, sodass letztlich unterschiedliche Inhalte vermittelt werden. Aufgrund dieser Gefahr darf es nie wieder einen nach Geschlechtern getrennten Unterricht geben.

Zudem zwingt der nach Geschlechtern getrennte Unterricht alle Menschen, sich fest einer Gruppe (Mann oder Frau) zuzuordnen. Selbst wenn es sich bei den Menschen, die sich nicht zuordnen, um eine kleine Gruppe handelt, wird dieser Minderheit Unrecht getan. Zudem gibt es einen größeren Teil Mädchen/Jungen, die zu einem gewissen Zeitpunkt ihrer Entwicklung besonders in ihrem Lernverhalten nicht einfach nach biologischem Geschlecht zuzuordnen sind.

Gerade im Sportunterricht darf die Trennung nicht länger möglich sein. Ein getrennter Sportunterricht führt automatisch dazu, dass unterschiedliche Aktivitäten durchgeführt und erlernt werden. Im Bezug auf sportliche Aktivitäten wird den Mädchen tendenziell Eleganz und Biegsamkeit attestierst und von ihnen gefordert, den Jungen Kraft und Kondition. Dies wird im getrennten Sportunterricht manifestiert und im Umgang der Jugendlichen untereinander somit übernommen. Dies führt langfristig dazu, dass Mädchen sowie Jungen in eine feste Rolle gezwungen werden, die automatisch die Benachteiligung und Unterdrückung der Frau stützt.

Probleme der Koedukation

So alt wie die Einführung der Koedukation ist auch ihre Kritik, Mädchen sowie Jungen erfahren im Schulsystem aufgrund ihres Geschlechts Benachteiligung, die Mädchen im naturwissenschaftlichen Bereich, die Jungen in Sprachen und musischen Fächern.

Um diese These zu bewerten, muss man sich für ein Deutungsmuster der schulischen Geschlechterdifferenz entscheiden. Die konservative Sichtweise begreift „Geschlecht“ als biologische Kategorie, der bestimmte geschlechtsspezifische Verhaltensmuster zugeordnet sind. Unter einer solchen Sichtweise ist es Ziel der Pädagogik, diese naturgegebenen „Gattungsmerkmale“ durch Bildung zu vervollkommnen.
Die LandesschülerInnenvertretung hingegen geht von einem progressiven Deutungsmuster aus, nämlich dem, dass die bestehende Geschlechterdifferenz eine sozialisationsbedingte ist, die es zu überwinden gilt, um Frauen wie Männern eine selbstbestimmte Identitätsbildung zu ermöglichen. Um jedoch das bestehende hierarchische Geschlechterverhältnis nicht unsichtbar zu machen, muss in bestimmten fällen noch von der Geschlechterdifferenz ausgegangen werden, um Mädchen und Frauen gezielt zu fördern, bevor die Kategorie „Geschlecht“ dekonstruiert werden kann.

Durch ihre Sozialisierung und die Internalisierung der von ihnen erwarteten Verhaltensweisen, entwickeln Jungen und Mädchen gerade in der Schule rollentypisches Verhalten. Diese häufig unbewusste Erziehung zu geschlechtskonformem Verhalten wird als heimlicher Lehrplan bezeichnet und wird in der Schule durch vier Faktoren bedingt:

1. Geschlechtsspezifische Erziehung durch Lehrkräfte

Empirische Studien zeigen, dass Lehrerinnen geschlechtsspezifisches Verhalten unbewusst erwarten und durch ihr Handeln reproduzieren: Jungen wird mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht als Mädchen; Sie werden häufiger aufgerufen und häufiger wegen störendem Verhalten ermahnt. Gutes Benehmen gilt bei Mädchen eher als selbstverständlich. Inhaltliche Kompetenz wird bei Mädchen eher auf Fleiß, bei Jungen dagegen auf Begabung zurückgeführt.

2. Interaktionsstrukturen in der Klasse

Die von Jungen oft vermutete Bevorzugung der Mädchen steht im krassen Gegensatz zur Unterrichtsrealität. Anhand von Studien konnte aufgezeigt werden, dass selbst Lehrerinnen, die überzeugt waren, ihre Aufmerksamkeit gleich zu verteilen, häufiger jungen als Mädchen aufriefen. In einem Modellversuch, in dem durch das Führen von Strichlisten gleiche

Aufmerksamkeit garantiert wurde, beschwerten sich die Jungen in einer anschließenden Befragung über ihre Benachteiligung.

Auch fällt auf, dass Jungen und Mädchen häufiger ins Wort fallen als umgekehrt. Beiträge von Mädchen, vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern, werden von Jungen oft lächerlich gemacht.

3. Schulbücher / Unterrichtsmaterialien

Schulbücher spiegeln auch heute noch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und geschlechtsrollenstereotypes Verhalten in Texten und Abbildungen wieder. Besonders in Geschichtsbüchern kommen Frauen so gut wie nicht vor.

Doch es haben sich in den letzten Jahren die neu konzipierten Schulbücher zu Gunsten einer stärker gleichberechtigten Darstellungsweise verändert. In den Schulbuchgutachten wird dabei u.a. berücksichtigt, inwieweit beiden Geschlechtern ausreichende Identifikationsmöglichkeiten angeboten werden und welche Rollenbilder von Mann und Frau durch die Darstellungsweise konstruiert werden. In der Novellierung des hessischen Schulgesetzes wurde so 1997 erstmals festgeschrieben, dass “die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch über die Anerkennung der Leistungen von Frauen in Politik, Kultur und Gesellschaft“ vermittelt werden sollte.

4. Identifikationsmöglichkeiten

Wie die meisten gesellschaftlichen Bereiche spiegelt auch die innerschulische Hierarchie das bestehende Geschlechterverhältnis wider. So sind z.B. 80% der Lehrkräfte an Grundschulen Frauen, doch nur 25% der Grundschulen werden von Frauen geleitet. Es unterrichten 36% Frauen in der Sek II, wobei es nur 13,6% Schulleiterinnen an Gymnasien gibt.

“Die Tatsache, dass die gehobenen Positionen in einem so geringen Maße durch Frauen besetzt sind, trägt dazu bei, dass Schülerinnen Macht mit Männlichkeit verbinden und ihnen weibliche Vorbilder fehlen.“ (Ingeborg Schüßler, 1997).

Diese Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung findet sich wiederum auch unter Schülerinnen wieder. Mädchen erfüllen in den meisten Fällen die Funktion, das soziale Klassengefüge zu stärken. Weiblichkeit wird mit der Fähigkeit zu Erhaltung der Sozialstruktur in Verbindung gebracht, während Konkurrenzdenken eher mit Männlichkeit konnotiert wird.

„Arme Jungs – arme Mädchen“ - Die Debatte um Benachteiligung

Schon lange heißt es, dass die Mädchen gerade in den Naturwissenschaften benachteiligt werden und gefördert werden müssten. Einrichtungen zur Förderung der Mädchen wie den „Girls Day“ sieht die LandesschülerInnenvertretung dabei als problematisch an. Obwohl es sinnvoll ist, Mädchen und Frauen gezielt zu fördern, führt eine solche „Grenzüberschreitung“ nicht zwingend zu einer Neutralisation, sondern kann die Grenzziehung verstärken. Durch bewusste Förderung wird suggeriert, dass Frauen und Mädchen, die sich beispielsweise für Naturwissenschaften interessieren, eine Ausnahme darstellen und somit in der Minderheit sind. Einer solchen Kategorisierung kann eine Negativzuschreibung (wie, in diesem Beispiel, weniger Attraktivität u. ä.) folgen und sie stellt somit immer auch eine Gefahr für die Mädchen und Frauen dar.

In der neueren Debatte um Geschlechterverhältnisse in der Schule spielt die Benachteiligung und benötigte Förderung der Jungen eine große Rolle. Tatsächlich ist festzustellen, dass im aktuellen System weniger Jungen qualifiziertere Bildungsgänge wählen und weniger männliche Absolventen ihre Hochschulreife erhalten. Die Mädchen, so die Theorie, seien nicht länger die Benachteiligten, das Schulsystem sei mädchenfreundlich. Diese Erkenntnis, die aktuell als neu gehandelt wird, gilt seit Einführung der koedukativen Schulen.

Diese Theorie ist vor allem kritisch zu betrachten, da sie die späteren Entwicklungen der Mädchen und Jungen ausblendet. Es bleibt nach wie vor bestehen, dass Frauen den geringeren Teil der Studentinnen an Hochschulen ausmachen, weniger qualifiziertere Berufe ergreifen und seltener Karriere machen. Dies ist nicht nur auf unterschiedliche Lebensentwürfe zurückzuführen.

In der Bevorzugung der Mädchen fördert die Schule ein Verhalten, welches nur innerhalb des Systems Schule vorteilhaft ist. Während den Mädchen objektiv durch Noten und Lob Überlegenheit suggeriert wird, attestieren die LehrerInnen in Interpretationen des Verhaltens den Mädchen „Autoritätsgläubigkeit, Angst vor Strafe, Schüchternheit, Verletzlichkeit“ (Zinnecker, 1995). Die Eigenschaften und Handlungsmuster, die also in der Schule gefördert werden, wie Reproduzieren, nicht Widersprechen, Rücksicht nehmen, usw. gereichen im späteren beruflichen Leben nicht zum Vorteil. Somit trägt die Benachteiligung der Jungen in der koedukativen Schule lediglich zu einer Festigung der dominierenden Rolle des Mannes in der Gesellschaft bei.

Umgang mit Problemen

Der Umgang mit diesen Problemen darf nicht durch Ignorieren oder Trennung, sondern muss durch Bewusstmachung geprägt sein. Nur durch eine bewusste Thematisierung durch die LehrerInnen und durch ein Aufbrechen von Rollenstereotypen kann eine Dekonstruktion stattfinden.

Viel zu oft werden Probleme im Unterricht nicht über die Kategorie „Geschlecht“ analysiert. Hier zeigt sich eine verzerrte Wahrnehmung der Lehrenden. Es werden andere Strukturierungsprinzipien herangezogen, wie z.B. Leistungsheterogenität, wobei im übrigen Leistung in diesem Zusammenhang nicht kritisch reflektiert wird, oder auch kulturelle Unterschiede, die als Deutungsmuster für soziales Gefälle herangezogen werden. Hierbei wird die Relevanz der Kategorie “Geschlecht“ unbewusst unterschätzt, denn sie ist in der jugendlichen Sozialisation eine der bedeutendsten.

Die LandesschülerInnenvertretung fordert, dass es weiterhin Förderungseinrichtungen gibt. Diese dürfen allerdings nicht nur geschlechtsspezifisch ausgelegt sein, sondern müssen eine individuelle Förderung des/der einzelnen zum Ziel haben. Die Förderungsprozesse müssen darum im Unterricht reflektiert werden und die Gründe für geschlechtstypische Bildungsgänge müssen aufgedeckt werden.

Nur so kann dauerhaft erreicht werden, dass Jungen wie Mädchen sich in der Schule individuell entwickeln können und sich selbst sowie andere nicht länger über das Geschlecht definieren.